Urlaubsabgeltung: Insolvenzverwalter muss nicht genommenen Urlaub auszahlen

Insolvenzverwalter zahlt noch nicht genommenen Urlaub aus

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit einer Entscheidung vom 25.11.2021 (6 AZR 94/19) seine bisherige Rechtsprechung zur Urlaubsabgeltung in der Insolvenz grundlegend geändert. Arbeitnehmer haben nun Anspruch auf die vollständige Abgeltung nicht genommenen Urlaubs, wenn ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wurde und das Arbeitsverhältnis fortgeführt wurde.

Rechtlicher Hintergrund: Die Rolle des starken Insolvenzverwalters

Wenn ein Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, kann das Insolvenzgericht bereits vor der offiziellen Insolvenzeröffnung einen Insolvenzverwalter einsetzen. In bestimmten Fällen erhält dieser weitreichende Befugnisse: Das Gericht kann ein allgemeines Verfügungsverbot gemäß § 21 Insolvenzordnung (InsO) aussprechen. In diesem Fall spricht man von einem „starken Insolvenzverwalter“ – er übernimmt faktisch die Geschäftsleitung, während die ursprüngliche Unternehmensführung ihre Entscheidungsbefugnis verliert.

Der Insolvenzverwalter entscheidet dann über die Fortführung des Unternehmens und der bestehenden Arbeitsverhältnisse. Für Arbeitnehmer bedeutet dies in vielen Fällen, dass sie ihre Tätigkeit unverändert fortsetzen – allerdings unter neuen rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Urlaubsansprüche.

Der Fall vor dem Bundesarbeitsgericht

Ein Arbeitnehmer war bei einem Unternehmen beschäftigt, über dessen Vermögen ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt wurde. Der Mitarbeiter arbeitete weiterhin im Unternehmen, kündigte schließlich selbst und forderte anschließend die Abgeltung seines nicht genommenen Urlaubs. Der Insolvenzverwalter verweigerte die vollständige Zahlung und berief sich auf die bisherige Rechtsauffassung, wonach Urlaubsabgeltung nur für den Zeitraum nach der Bestellung des Insolvenzverwalters geschuldet sei.

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht gaben dem Insolvenzverwalter recht. Erst das Bundesarbeitsgericht änderte die Entscheidung und verpflichtete den Insolvenzverwalter zur vollständigen Auszahlung des nicht genommenen Urlaubs.

Neue Berechnung der Urlaubsabgeltung

Bislang wurde die Urlaubsabgeltung in der Insolvenz unterschiedlich behandelt. Urlaub, der vor der Insolvenzeröffnung entstanden war, galt als Insolvenzforderung. In der Praxis führte dies dazu, dass Arbeitnehmer oft nur eine geringe Insolvenzquote erhielten, da die Insolvenzmasse in vielen Fällen nicht ausreicht, um alle Verbindlichkeiten zu decken. Hingegen wurde Urlaub, der nach der Bestellung des Insolvenzverwalters entstanden war, als sogenannte Masseverbindlichkeit eingestuft und musste in voller Höhe beglichen werden.

Der 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte bislang nur Urlaubsansprüche berücksichtigt, die nach der Bestellung des Insolvenzverwalters entstanden waren – frühere Urlaubsansprüche verfielen. Diese Sichtweise hat der 6. Senat nun aufgegeben und entschieden, dass Arbeitnehmer Anspruch auf die vollständige Urlaubsabgeltung haben, sofern sie während der vorläufigen Insolvenzverwaltung weiterbeschäftigt wurden.

Welche Arbeitnehmer profitieren von der neuen Rechtsprechung?

Die Entscheidung des BAG hat weitreichende Folgen für Arbeitnehmer in Unternehmen, die sich in vorläufiger Insolvenz befinden. Anspruch auf die vollständige Urlaubsabgeltung besteht künftig unter folgenden Voraussetzungen:

  1. Ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter wurde vom Gericht bestellt.
  2. Der Arbeitnehmer hat während dieser Zeit seine Tätigkeit im Unternehmen fortgesetzt.

Allerdings bleibt die Umsetzung in der Praxis komplex. Das Zusammenspiel von Arbeitsrecht und Insolvenzrecht ist anspruchsvoll, eine genaue Prüfung jedes Einzelfalls ist daher erforderlich.

Weitere Fragen zur Urlaubsabgeltung in der Insolvenz

Neben der hier besprochenen Fallkonstellation gibt es weitere Fragen zur Behandlung von Urlaubsansprüchen in der Insolvenz. Insbesondere stellt sich häufig die Frage, wann Urlaubsansprüche als Insolvenzforderungen oder Masseverbindlichkeiten einzustufen sind. Weitere Informationen dazu finden Sie im Beitrag Urlaub in der Insolvenz: Geht er verloren?


Heike Traphan

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Marc Traphan

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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