Ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) muss vom Arbeitgeber immer dann angeboten werden, wenn ein Mitarbeiter innerhalb des vergangenen Jahres länger als sechs Wochen krank war. In einem strukturierten Verfahren wird geprüft, ob und wie eine Rückkehr des erkrankten Mitarbeiters an den Arbeitsplatz ermöglicht werden kann. Die korrekte Durchführung eines BEM ist komplex, da das Gesetz keine konkreten Vorgaben zum Verfahren macht. Die Gerichte fordern jedoch, dass zu Beginn des Verfahrens sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber vollständig und korrekt über ihre Rechte und Pflichten informiert werden. Wird das BEM nicht ordnungsgemäß durchgeführt, kann dies für den Arbeitgeber bei einer krankheitsbedingten Kündigung schwerwiegende, oft nicht korrigierbare Folgen haben. Profitieren Sie von unserer Expertise als Rechtsanwälte im betrieblichen Eingliederungsmanagement.
Inhalt – Welche Informationen erwarten Sie
Was ist die Rechtsgrundlage für ein betriebliches Eingliederungsmanagement?
Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist im Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) verankert. Es verpflichtet Arbeitgeber, Maßnahmen zur Wiedereingliederung von Mitarbeitern zu ergreifen, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig waren. Diese Regelung gilt für alle Arbeitnehmer, nicht nur für Menschen mit Behinderungen, auch wenn das Gesetz den Untertitel „Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ trägt.
Gilt die Pflicht für ein BEM auch für Kleinbetriebe und in der Probezeit?
Die gesetzliche Pflicht zum BEM betrifft grundsätzlich alle Arbeitgeber und beginnt ab dem ersten Tag des Arbeitsverhältnisses. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat jedoch Ausnahmen festgelegt:
- Kleinbetriebe: Unternehmen, die nicht unter das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) fallen, sind von der BEM-Pflicht ausgenommen (BAG, Urteil vom 24.01.2008 – 6 AZR 97/07).
- Probezeit: Während der Probezeit gilt die BEM-Pflicht nicht, ebenso wenig wie der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses (BAG, Urteil vom 28.06.2007 – 6 AZR 750/06).
Fehltage: Welche zählen beim BEM?
Für das BEM werden alle Krankheitstage innerhalb eines Jahres gezählt, unabhängig davon, ob sie am Stück oder wiederholt auftreten. Das „Jahr“ bezieht sich auf ein „Zeitjahr“, das ab dem aktuellen Datum rückwärts berechnet wird. Dabei zählen sowohl Zeiten mit ärztlicher Krankschreibung als auch Zeiten ohne.
Wie ist der Ablauf eines betrieblichen Eingliederungsmanagements?
Das BEM muss vom Arbeitgeber eingeleitet werden; der Mitarbeiter muss nicht danach fragen. Der Ablauf ist nicht fest vorgeschrieben, aber es gibt wichtige Grundregeln:
- Einladungsschreiben: Der Arbeitgeber muss den Mitarbeiter schriftlich einladen und über das Verfahren, seine Rechte und den Datenschutz informieren.
- Beratung: Ein Rechtsanwalt kann von Anfang an helfen, das BEM korrekt zu gestalten und rechtliche Fallstricke zu vermeiden.
Das betriebliche Eingliederungsmanagement als ergebnisoffener Suchprozess
Das Bundesarbeitsgericht beschreibt das BEM als einen flexiblen Prozess zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit. Es gibt keine festen Lösungen; alle Beteiligten müssen kreative Ansätze entwickeln. Beteiligte sind unter anderem der Betriebs- oder Personalrat, die Schwerbehindertenvertretung, Inklusions- oder Integrationsämter, der Betriebsarzt und der betroffene Mitarbeiter.
Zustimmung des kranken Mitarbeiters ist erforderlich
Ein BEM kann nur mit der Zustimmung des Mitarbeiters durchgeführt werden. Verweigert der Mitarbeiter die Zustimmung, endet die Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung des BEM. Vorher muss der Arbeitgeber den Mitarbeiter umfassend über die Ziele und die Datennutzung im BEM informieren.
Schweigepflicht nicht vergessen
Vertrauen ist essenziell: Alle Beteiligten müssen die Gesundheitsdaten des Mitarbeiters vertraulich behandeln und die BEM-Akte getrennt von der Personalakte führen.
Leistungen der Rehabilitationsträger
Das Ziel des BEM ist es, den Arbeitsplatz des Mitarbeiters zu erhalten. Arbeitgeber können hierfür finanzielle Unterstützung erhalten, beispielsweise für die behinderungsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes oder personelle Unterstützung. Alle Möglichkeiten müssen im BEM geprüft werden, bevor eine Kündigung erfolgen kann.
Kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt: Auswirkungen auf den Kündigungsschutz?
Eine Kündigung ist nur das letzte Mittel, wenn alle milderen Maßnahmen ausgeschöpft sind. Hat der Arbeitgeber kein BEM durchgeführt, muss er im Kündigungsschutzprozess darlegen, warum keine anderen Maßnahmen möglich waren. Fehlt dieser Nachweis, wird die Kündigung möglicherweise unwirksam.
Das Problem mit der Beweislast im Kündigungsschutzprozess
Wurde kein BEM durchgeführt, muss der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess beweisen, dass keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten für den Mitarbeiter existieren. Dies erfordert umfassende und detaillierte Nachweise.
Betriebliches Eingliederungsmanagement: Kurz und knapp
Sechs wichtige Grundsätze des BEM im Kündigungsschutzprozess wegen krankheitsbedingter Kündigung:
- Pflicht des Arbeitgebers: Ein BEM muss angeboten werden, sonst drohen strengere Anforderungen im Kündigungsschutzprozess.
- Verhältnismäßigkeit: Eine Kündigung ist unverhältnismäßig, wenn andere Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen.
- Beweislast: Ohne BEM muss der Arbeitgeber nachweisen, dass keine leidensgerechte Beschäftigung möglich war.
- BEM negativ: Fördert das BEM keine Lösung, muss der Arbeitnehmer darlegen, wie er beschäftigt werden kann.
- BEM positiv: Gefundene Maßnahmen müssen umgesetzt werden, sonst ist die Kündigung unzulässig.
- Mitarbeiterbeteiligung: Der Mitarbeiter muss zustimmen und aktiv mitwirken. Andernfalls kann der Arbeitgeber das BEM nach Fristsetzung kündigen.
Betriebliches Eingliederungsmanagement: Urteile, die Sie kennen müssen
- Regelgerechte Einleitung: Ein Arbeitgeber muss eine formell korrekte Aufforderung zur Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) aussprechen. Versäumt er dies, gilt das BEM als pflichtwidrig unterlassen, was eine Verlagerung der Darlegungs- und Beweislast auf den Arbeitgeber nach sich zieht (BAG, Urteil vom 12. Juli 2007 – 2 AZR 716/06; BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 – 400/08).
- Rechtskonforme Information des Arbeitnehmers: Gemäß § 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX ist eine umfassende Belehrung des Arbeitnehmers erforderlich, um dessen Zustimmung zum BEM-Verfahren einzuholen (BAG, Urteil vom 24. März 2011 – 2 AZR 170/10). Diese Belehrung muss vor dem ersten BEM-Gespräch erfolgen (LAG Hamm, Urteil vom 28. März 2019 – 18 Sa 106/19).
- Inhalte der Belehrung: Der Arbeitgeber muss klar darlegen, welche Ziele das BEM verfolgt. Diese Darstellung muss über eine bloße Nennung des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgehen (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13). Der Arbeitnehmer ist darüber zu informieren, dass das BEM ein ergebnisoffenes Verfahren ist, in dem beide Parteien Vorschläge einbringen können (LAG Hamburg, Urteil vom 8. Juni 2017 – 7 Sa 20/17).
- Teilnehmerkreis und Mitbestimmung: Der Arbeitgeber muss den potenziellen Teilnehmerkreis des BEM-Verfahrens offenlegen und dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Mitbestimmung einräumen, z.B. durch Teilnahme einer Vertrauensperson oder Verzicht auf die Hinzuziehung des Werks- oder Betriebsarztes sowie der betrieblichen Interessenvertretung (LAG Nürnberg, Urteil vom 18. Februar 2020 – 7 Sa 124/19). Der Arbeitgeber muss explizit darauf hinweisen, dass die Beteiligung der Interessenvertretung optional ist (BAG, Urteil vom 22. März 2016 – 1 ABR 14/14; BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13).
- Wahlmöglichkeiten für den Arbeitnehmer: Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer drei Optionen zur Teilnahme am BEM-Verfahren anbieten: Ablehnung, Durchführung mit Beteiligung der Interessenvertretung oder Durchführung ohne Beteiligung der Interessenvertretung (BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2010 – 6 P 8/09).
- Hinzuziehung von Rehabilitationsträgern: Die Einladung zum BEM muss auch einen Hinweis enthalten, dass der Arbeitgeber bei Bedarf Rehabilitationsträger hinzuziehen wird, wenn Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben erforderlich sind (BAG, Urteil vom 22. Oktober 2018 – 2 AZR 458/18).
- Datenschutz und Datenverwendung: Die Einladung zum BEM muss Informationen zur Datenerhebung und -verwendung enthalten. Es muss klargestellt werden, dass nur solche Daten erhoben werden, die notwendig sind, um ein zielführendes BEM durchzuführen. Der Arbeitnehmer muss wissen, welche Krankheitsdaten erhoben und gespeichert werden und in welchem Umfang diese dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/14).