Prozessbetrug – Falsche Tatsachen = Fristlose Kündigung

Prozessbetrug-Fristlose Kündigung

Warum dieses Urteil wichtig ist

Ein Arbeitgeber kann sofort kündigen, wenn ein Arbeitnehmer im laufenden Gerichtsverfahren bewusst falsche Tatsachen vorträgt, um sich Geld oder Rechte zu erschleichen. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat am 13.08.2025 (Az. 2 SLa 735/24) entschieden, dass bereits der Versuch eines solchen „Prozessbetrugs“ das Vertrauensverhältnis so schwer beschädigen kann, dass eine fristlose Kündigung gerechtfertigt ist. Für Beschäftigte wie für Unternehmen erklärt das Urteil, wo die roten Linien im Prozessvortrag verlaufen — und welche Folgen eine bewusste Unwahrheit haben kann.

Parteien & Streit: Arbeitgeber, Filialleiter, Bonus und Inventurdifferenzen

Die Kläger war ein langjähriger Mitarbeiter (seit 2016), zuletzt Filialleiter einer E-Bike-Filiale; sein Gehalt lag bei etwa 4.750 € brutto monatlich. Die Beklagte ist ein Fachhändler für E-Bikes. Streitpunkte waren vor allem:

  • Eine behauptete vertragliche Vereinbarung über eine Jahresprämie (10.000 € plus 2 % Gewinnbeteiligung für die Filiale A-Stadt) für mehrere Jahre;
  • Unstimmigkeiten bei Inventuren (fehlende Fahrräder);
  • Vorwürfe über einzelne „schwarze“ Barauszahlungen (Rechnung unterblieben, Bargeldabwicklung).

Der Arbeitnehmer klagte unter anderem auf Zahlung der Prämien und auf Auskunft über Filialgewinne; zugleich wurden ihm von der Arbeitgeberseite Mitte/Ende Februar 2024 ordentliche und später außerordentliche (fristlose) Kündigungen erklärt. Das Landesarbeitsgericht musste prüfen: War die fristlose Kündigung gerechtfertigt — insbesondere wegen eines versuchten Prozessbetrugs — und bestehen die vom Kläger behaupteten Lohn-/Bonusansprüche?

Kernentscheidung: Fristlose Kündigung wegen versuchten Prozessbetrugs

Das Gericht hat die Berufung der Arbeitgeberin teilweise stattgegeben und vor allem Folgendes entschieden:

  • Die außerordentliche (fristlose) Kündigung vom 21. Februar 2024 ist wirksam — das Arbeitsverhältnis endete mit Zugang dieser Kündigung.
  • Entscheidend war, dass der Kläger in der Klage ein als „Arbeitsvertrag vom 15. Januar 2016“ bezeichnetes Schriftstück vorlegte und damit behauptete, zwischen den Parteien bestünde ein Vertrag mit bestimmten Bonusregelungen. Das Gericht sah dies nicht als bloße rechtliche Behauptung, sondern als faktenbezogenen Vortrag mit einem dem Beweis zugänglichen „Tatsachenkern“ — und hielt fest, dass der Kläger wusste (oder zumindest billigend in Kauf nahm), dass die behauptete Einigung so nicht bestanden habe.
  • Schon der Versuch, durch falsche Tatsachenbehauptungen im Prozess ein für ihn günstiges Urteil zu erwirken (also ein „Prozessbetrug“-Versuch), reiche aus, um dem Arbeitgeber das Vertrauen in die Redlichkeit des Mitarbeiters zu nehmen — und damit die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Das kann auch für Falschbehauptungen (Schutzbehauptungen) im Kündigungsschutzprozess gelten.
  • Wegen der Schwere des Verhaltens war eine Abmahnung nicht erforderlich; eine vorherige Warnung hätte das Vertrauen nicht wiederherstellen können.
  • Die Klage des Arbeitnehmers auf Zahlung der Jahresprämien wurde weitgehend abgewiesen: eine verbindliche Vereinbarung über die angeblich festen 10.000 € Jahresprämien ließ sich nicht darlegen.

Einziger Erfolg des Klägers: Er erhält ein qualifiziertes Zwischenzeugnis; die sonstigen Zahlungs- und Auskunftsansprüche wurden abgewiesen.

Warum das Gericht so entschieden hat — die wesentlichen Begründungen verständlich erklärt

  1. Prozesswahrheit vs. Rechtsauffassung
    Das Gericht unterscheidet, ob ein Vorbringen im Prozess reine Rechtsauffassung ist (das ist zulässig) oder ob es konkrete, überprüfbare Tatsachenbehauptungen enthält. Letztere müssen der Wahrheit entsprechen. Liegt eine falsche, beweisfähige Tatsachenbehauptung vor — und war dem Vortragenden deren Unrichtigkeit bewusst —, kann das schon selbst dann zur Kündigung führen, wenn das Gericht der Sache letztlich nicht folgt.
  2. Vorsatz und Zurechenbarkeit
    Entscheidend ist die subjektive Seite: Der Arbeitnehmer muss die Unrichtigkeit gekannt oder zumindest billigend in Kauf genommen haben. Das Gericht sah das hier als erfüllt, weil der Kläger an mehreren Stellen eingeräumt hatte, dass über den Vertrag verhandelt worden sei und verschiedene Fassungen existierten — er jedoch die Version als verbindlich in die Klage eingebracht hatte.
  3. Vertrauensverlust und Pflicht zur Rücksichtnahme
    Im Arbeitsverhältnis besteht eine besondere Nebenpflicht: gegenseitige Rücksichtnahme. Wer in einem Rechtsstreit gegen den Arbeitgeber bewusst falsch vorträgt, verletzt diese Pflicht in erheblichem Maß. Das zerstört das für jede Zusammenarbeit notwendige Vertrauen.
  4. Ultima-ratio-Prinzip (Verhältnismäßigkeit)
    Vor Aussprechen einer fristlosen Kündigung ist zu prüfen, ob mildere Mittel (z. B. Abmahnung) zumutbar wären. Bei einem gezielten, vermögensrelevanten Versuch, sich in einem Prozess Vorteil zu verschaffen, sah das Gericht eine Abmahnung als nicht ausreichend an — das Vertrauen war nicht wiederherstellbar.
  5. Beweis- und Darlegungslast
    Wer Ansprüche aus einem angeblichen Vertrag geltend macht, muss substantiiert darlegen, wann und wie die Vereinbarung zustande gekommen sein soll. Pauschale oder widersprüchliche Angaben genügen nicht. Das Gericht wertete den Vortrag hier als unsubstantiiert und teilweise widersprüchlich.

Was das Urteil praktisch bedeutet — kurz erklärt

  • Für Arbeitnehmer: Vorsicht bei prozessualem Vortrag. Konkrete, beweisfähige Tatsachen müssen der Wahrheit entsprechen; das bewusste Vorlegen oder Fördern falscher Dokumente kann nicht nur zivil-, sondern arbeitsrechtlich gravierende Folgen haben.
  • Für Arbeitgeber: Die Entscheidung bestätigt, dass ein gezielter Versuch, das Verfahren durch unwahre Tatsachen zu beeinflussen, die fristlose Kündigung rechtfertigen kann — vorausgesetzt, der Arbeitgeber kann die entscheidungserheblichen Umstände darlegen.
  • Für Prozessbevollmächtigte: Prozesshandlungen des Vertreters werden der Partei zugerechnet. Ein Mandant muss sich also die vom Anwalt veranlassten Prozesshandlungen zurechnen lassen, wenn er sie nicht umgehend korrigiert.

tl;dr — Die vier wichtigsten Leitsätze

  1. Der bewusste Vortrag falscher, beweisfähiger Tatsachen im eigenen Prozess kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen.
  2. Auch der Versuch eines Prozessbetrugs genügt, weil er das Vertrauensverhältnis zerstört.
  3. Zwischen Rechtsmeinung (zulässig) und Tatsachenbehauptung (überprüfbar) ist streng zu trennen.
  4. Abmahnung kann entbehrlich sein, wenn die Pflichtverletzung so schwer wiegt, dass Vertrauen nicht wiederherstellbar ist.

Entscheidungsdaten

  • Gericht: LAG Niedersachsen
  • Datum: 13.08.2025
  • Aktenzeichen: 2 SLa 735/24
  • Schlagwörter: Fristlose Kündigung; Prozessbetrug; Versuchter Prozessbetrug
  • Entscheidungsform: Urteil
  • ECLI: ECLI:DE:LAGNI:2025:0813.2SLa735.24.00

Heike Traphan

Rechtsanwältin
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Marc Traphan

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